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Ein Besuch in Altenau – Von den Chancen genossenschaftlicher Modelle

In unserem Leitbild für Vill ist mehrmals der Wunsch nach einem öffentlichen, geschlossenen Raum für Vill formuliert, der Wunsch nach einem alternativen Vereinshaus, nach einer Dorfstube. Ein Ort, der für alle BürgerInnen von Vill zugänglich ist, um dort verschiedenen Aktivitäten (Veranstaltungen, Freizeitaktivitäten, Seminare etc.) nachgehen zu können. Ein multifunktionaler Raum als Treffpunkt, informelles Café und Verkaufsstelle für die umfangreiche Produktpalette an Lebensmitteln aus Vill.

Über das Potential des Gasthauses Traube wurde und wird viel gesprochen. Die Eigentümerfamilie hat mehrfach signalisiert, dass Bereitschaft besteht, das Objekt für die Allgemeinheit im Sinne der eingangs geschilderten Überlegungen nutzbar zu machen.

Die Vitalisierung dieses Standortes ist ein zentrales Anliegen des Viller Unterausschusses. Es kommt nicht von ungefähr und ist kein Zufall, dass die Traube in den Diskussionen und Arbeitsgruppen des Leitbildprozesses als zentraler Ort in unterschiedlichsten Konstellationen zur Sprache gekommen ist. Die Traube, der Dorfplatz und die Kirche sind der logische und natürliche Mittelpunkt des Ortes. Es wäre schade, die sich anbietenden Gestaltungsmöglichkeiten nicht zu nutzen.

Es existiert bereits eine über den Unterausschuss initiierte Machbarkeitsstudie der Architektur-Genossenschaft architektur:lokal eG aus Patsch, die eine Sanierung des bestehenden Hauptgebäudes der Traube sowie einen angrenzenden Neubau vorsieht und als mach- und finanzierbar ausweist. Diese Studie ist online verfügbar und zugänglich (http://www.architektur-lokal.at/s-02-2.html).

In Deutschland gibt es einige Beispiele von Dorfgemeinschaften und Vereinen, die unter Wiederbelebung des genossenschaftlichen Gedankens verfallenen Gebäuden und Wirtshäusern neues Leben eingehaucht haben. Eines dieser Projekte hat eine kleine (neunköpfige) Abordnung aus Vill am 27.9.2016 besucht.

Reginald Vergeiner hat auf einer Radtour durch Oberbayern im heurigen Sommer das Altenauer Dorfgasthaus entdeckt. Im Eingangsbereich fiel ihm der Hinweis auf den genossenschaftlichen Hintergrund dieses Gasthauses auf, das Gespräch mit dem Wirt und den Verantwortlichen der Genossenschaft war schnell gefunden.

Und so begrüßten uns Ende September im Wirtshaus bzw dem angrenzenden Dorfsaal von Altenau Dr. Claus Hornig, Aufsichtsrat und Peter Urbin, Vorstandsmitglied der Genossenschaft. Sie präsentierten uns die Geschichte dieser einmaligen Aktion, die deutschlandweite Bekanntheit erlangte, weil das bayrische Fernsehen die Anfänge, Fortschritte und Realisierung des Projektes im Vorabendprogramm sendete.

Die Altenauer sind interessante Menschen.

Sie haben ein seit 10 Jahren leer stehendes und verfallendes Gasthaus gekauft, im Anschluss mit Eigenleistungen der Dorfbewohner im Ausmaß von etwa 23.000 Stunden saniert und erweitert und mit einem seit zwei Jahren erfolgreich laufenden Gastronomiekonzept versehen.

Das gesamte Vehikel wurde rechtlich über zwei Genossenschaften organisiert, die miteinander verflochten sind und mehr oder weniger alle 160 Haushalte von Altenau mitreden, -gestalten und -entscheiden lässt.

Claus Hornig und Peter Urbin haben in persönlichen Gesprächen viele Fragen beantwortet und Unterlagen zur Verfügung gestellt. Man spürt, wie sehr sie ihr Projekt lieben, wie viel Engagement darin steckt und wie interessiert sie sind, dass es Schule macht.

Altenau hat 600 Einwohner und ist damit praktisch gleich groß wie Vill. Altenau und Vill sind trotzdem kaum vergleichbar. Altenau liegt im Ammertal im tiefsten Oberbayern und damit ohne jeden Zweifel „am Land“. Vill ist ein Stadtteil von Innsbruck und eingebunden in einen hoch prosperierenden urbanen Raum.

In Altenau sind nahezu alle Einwohner relativ aktive Mitgestalter des Dorflebens, klassische „SchlafbewohnerInnen“ wie in Vill gibt es dort nicht.

Die landwirtschaftliche Prägung des Ortes ist allgegenwärtig, die 13 aktiven Landwirte kommen in die Nähe der (noch) bestehenden landwirtschaftlichen Strukturen von Vill.

Das ehemalige Gasthaus zur Post (das nunmehrige Altenauer Dorfgasthaus) war vor ca. 15 Jahren in etwa demselben Zustand wie derzeit das Gasthaus Traube in Vill. Diesen Zustand haben die Altenauer geändert.

Die Ausgangslage in Altenau im Jahr 2013

Seit über 10 Jahren ist Altenau ohne Wirtshaus. Das Gemeinschaftsleben ist „nur“ noch in Interessengruppen existent und ein gastronomisches Angebot im Ort fehlt. Kulturelle Aktivitäten sterben aus. Die Initiatoren wollen diese Situation ändern, das Kulturleben wieder intensivieren und die gastronomische Angebotslücke schließen.

Der leerstehende Baukörper des früheren „Gasthof zur Post“ soll erworben, dann weitestgehend in Eigenregie saniert und anschließend verpachtet werden.

Dieses Projekt soll die Dorfgemeinschaft über zwei zu gründende Genossenschaften realisieren. Eine Objektgenossenschaft im Sinne einer „kleinen“ Genossenschaft wird das Eigentum an der Immobilie im Ortskern erwerben. Eine Dorfsaal-Genossenschaft wird die Sanierungsarbeiten ausführen und die gemeinnützige Bewirtung sowie die Nutzung des im Zuge der Renovierung errichteten Dorfsaals mit Bühne (Größe ca. 100 qm) für Veranstaltungen der Vereine und Feierlichkeiten der Dorfgemeinschaft organisieren. Beide Genossenschaften sollen aneinander beteiligt werden.

Das stellte man unter das Motto „Ein Dorf wird Wirt“.

Die Genossenschaften

Der Gegenstand der Objekt-Genossenschaft:

  • Bewirtschaftung von Wohn- und Gewerberäumen in allen Rechts- und Nutzungsformen
  • Erwerb und Sanierung der Immobilie „Gasthof Post“ in Altenau sowie deren Erhalt zur Förderung des sozialen und kulturellen Zusammenlebens in der Dorfgemeinschaft Altenau
  • Beteiligung an sonstigen Genossenschaften und Unternehmen.

Der Gegenstand der Dorfsaal-Genossenschaft:

  • gemeinnützige Bewirtung und Nutzung des Dorfsaals für Veranstaltungen und Feierlichkeiten der Dorfgemeinschaft
  • Bereitstellung von sonstigen Dienstleistungen zum Wohle der Mitglieder.
  • Beteiligung an sonstigen Genossenschaften und Unternehmen.

Wesensmerkmal jeder Genossenschaft ist die Zeichnung von Geschäftsanteilen. Jede/r Genossenschafter/in muss mindestens einen Geschäftsanteil zeichnen und wird damit Mitglied der Genossenschaft mit einer Stimme. Dabei sehen Satzungen oft vor, dass jedes Mitglied – unabhängig von der Anzahl der gezeichneten Geschäftsanteile – immer nur eine Stimme in der Generalversammlung hat, womit eine relevante Mitbestimmungsmöglichkeit jedes Genossenschaftsmitglieds garantiert ist und nicht die Gefahr besteht, dass kapitalkräftige Mitglieder einfache Mitglieder dominieren.

Die findigen Initiatoren und Gründer in Altenau haben eine spannende, hoch interessante und exakt auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Genossenschaftsstruktur gestaltet:

grafik_altenau

Im Hinblick auf den massiven Investitionsbedarf war es naheliegend, die einzelnen Geschäftsanteile mit relativ hohen Beträgen festzusetzen. Die Werte darf ich aufgrund der zugesicherten Vertraulichkeit nicht nennen.

Wenn man allerdings Rahmenbedingungen zugrunde legt, die bei uns in Innsbruck/Vill gelten, würde bei einer Objektgenossenschaft (als Erwerberin der Immobilie) wohl ein Geschäftsanteil mit € 50.000 und bei einer Dorfsaal-Genossenschaft ein Geschäftsanteil mit € 2.000 anzusetzen sein.

Anteile bei der Dorfsaal-Genossenschaft konnten auch in Arbeitsleistung erworben werden. Die dabei zu erbringende Arbeitsleistung wurde mit einem fiktiven Stundenlohn für Hilfsarbeitertätigkeiten und Facharbeiterstunden abgegolten. Sobald jemand rechnerisch aus dem Nettolohn einen vollen Anteil erarbeitet hatte, konnte er auf Antrag in die Mitgliederliste aufgenommen werden. Die Arbeit musste in Eigenleistung erbracht werden.

Diese Konstruktion hatte zur Folge, dass in der Objektgenossenschaft der Mitgliederkreis überschaubar blieb und damit die Entscheidungsfindung im Investitions- und Instandhaltungsbereich effizient gestaltbar ist (man vermeidet damit beispielsweise mühsame Abstimmungen unter 200 Mitgliedern über die Farbe der Fensterrahmen des Gebäudes).

Kapitalkräftige Investoren aus dem regionalen Umfeld (v.a. auch eine namhafte bayrische Bierbrauerei) sowie die örtlichen Vereine (Musikkapelle, Trachtengruppe, Wald- und Weidegenossenschaft) sorgten für die Basiskapitalisierung der Objektgenossenschaft, während der Großteil der Altenauer Bevölkerung mit einem überschaubaren Investment an der Dorfsaal-Genossenschaft beteiligt wurde, die sich ihrerseits mit dem gesamten aufgebrachten Genossenschaftskapital wiederum an der Objektgenossenschaft beteiligte, womit über den Umweg der Dorfsaal-Genossenschaft jede/r einzelne Altenauer/in Mitsprache und Beteiligung an der Objektgenossenschaft erhielt. Um die Dorfsaal-Genossenschaft zu „rekapitalisieren“, beteiligte sich die Objektgenossenschaft mit 30 Geschäftsanteilen wiederum an dieser.

Die Entscheidungsfindung in der Objektgenossenschaft bleibt damit schlank und effizient, trotzdem haben alle Beteiligten – mittelbar – Mitsprache in beiden Genossenschaften.

Zudem ist satzungsmäßig (entsprechend dem deutschem Genossenschaftsrecht) vorgesehen, dass kein Genossenschafter mehr als 3 Stimmen haben kann, egal wieviele Anteile er zeichnet.
Zur Illustration: Die Objektgenossenschaft hat insgesamt 30 Anteile an der Dorfsaal-Genossenschaft gezeichnet, erhält dafür aber nur 3 Stimmen in der Generalversammlung, also gleich viele Stimmen wie eine Genossenschafterin, die 3 Anteile zeichnet.

Das Geschäftsmodell fußt im Wesentlichen auf der Vermietung bzw der Vermarktung des Gebäudeobjekts.

Die Verantwortlichen haben in den Gesprächen mit uns immer wieder betont, dass der Erwerb und die Sanierung der Gebäudeinfrastruktur letztlich relativ einfach war, mehr Kopfzerbrechen bereitete die Suche nach einem geeigneten Wirt für das renovierte Gasthaus. Ein schön renoviertes und zeitgemäß ausgestattetes Gasthaus irgendwo am Land scheitert über kurz oder lang, wenn es nicht gut geführt wird. Und damit wäre auch die gesamte Investition mehr oder weniger verloren, weil gerade im dortigen Umfeld kaum anderweitige wirtschaftliche Verwertungskonzepte für ein solches Gebäude realistisch sind. Dazu kommt, dass die Dorfgemeinschaft bezüglich des Gasthauses hohe Qualitätsvorstellungen an den Tag legte.

Die Marketingaktivitäten konzentrierten sich daher auf die Suche nach einen geeigneten Pächter. Dabei hatte Altenau mit dem Bayrischen Rundfunk, der diese Suche in ganz Deutschland publik machte und begleitete, natürlich einen optimalen Partner. Gefunden wurde nach einhelliger Darstellung der Altenauer (wie wir uns auch selbst überzeugen konnten) perfekt passende junge Wirtsleute, die eine klassische bayrische Speisekarte auf Basis von regionalen und saisonalen Produkten kreieren und servieren. Dahinter steht ein mit professioneller Unterstützung erarbeitetes Gastronomiegrundkonzept, das laufend evaluiert und begleitet wird.

Die Objektgenossenschaft verpachtet (zu sehr fairen Bedingungen) die Gasträume inkl. 6 Fremdenzimmer. Darüber hinaus entstanden im Zuge der Umbaumaßnahmen etwa 80 qm Gewerbefläche (Büro) und eine ca. 100qm große Wohnung, die an die Wirtsfamilie vermietet wird. Die Pacht- und Mieterlöse bilden die Einnahmen der Objektgenossenschaft, mit denen die für die Sanierung (zusätzlich) aufgenommen Bankverbindlichkeiten getilgt und in weiterer Folge Rücklagen aufgebaut werden.

Die Dorfsaal-Genossenschaft generiert ihre Erlöse aus der Überlassung des Dorfsaals und mittelfristig aus Dividenden aus der Beteiligung an der Objektgenossenschaft.

Das alles lässt sich natürlich nicht ohne weiteres auf Vill und das Gasthaus Traube umlegen. Das will ich mit diesem Beitrag auch nicht tun.

Das Beispiel Altenau zeigt aber, dass mit Engagement und professionell arbeitenden Menschen Projekte umsetzbar sind, an deren Realisierung manche nicht einmal zu denken wagen. Es zeigt auch, dass über genossenschaftliche Lösungen in der Breite Kapital aufgebracht werden kann, das nicht nur zur Renovierung von Gasthäusern, sondern auch zur Finanzierung andere Varianten einer Nutzung von zentralen und wichtigen Orten wie die Traube verwendet werden könnte.

Darüber nachzudenken würde sich lohnen. Das einschlägige Know-how wäre auch bei uns vorhanden. Und Sympathien und ein Besuch aus Altenau wären uns sicher.